Die Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG ist ein bewährtes Instrument, um Veräußerungsgewinne steuerlich zu verschieben und Liquidität für Reinvestitionen zu sichern. Wird die Rücklage jedoch später aufgelöst, ohne dass eine Reinvestition erfolgt, greift der sogenannte Gewinnaufschlag. In diesem Beitrag wird erklärt, wann dieser Zuschlag entsteht, wie er berechnet wird und weshalb der Bundesfinanzhof (BFH) ihn auch bei dauerhaft niedrigen Zinsen für verfassungsgemäß hält.
1. Hintergrund: Was bezweckt die Rücklage nach § 6b EStG?
Die Regelung des § 6b EStG ermöglicht es, Gewinne aus der Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter, etwa Grundstücke oder Gebäude, steuerlich zu verschieben. Anstatt den Gewinn sofort zu versteuern, darf er in eine Rücklage eingestellt und später auf Reinvestitionen übertragen werden.
So können Betriebe den Veräußerungserlös vollständig zur Anschaffung oder Herstellung neuer Anlagegüter einsetzen. Der Staat fördert damit Investitionen und strukturelle Anpassungen, etwa in der Immobilien- oder Baubranche.
Wird jedoch nicht innerhalb der Reinvestitionsfrist (vier oder sechs Jahre) investiert, muss die Rücklage am Ende dieser Frist gewinnerhöhend aufgelöst werden – und genau hier kommt der Gewinnaufschlag ins Spiel.
2. Der Gewinnaufschlag nach § 6b Abs. 7 EStG
Nach dem Gesetz ist der Gewinn des Jahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Jahr ihres Bestehens um 6 % des aufgelösten Rücklagenbetrags zu erhöhen. Dieser Aufschlag soll den Zinsvorteil ausgleichen, den der Steuerpflichtige durch die vorübergehende Steuerstundung erhalten hat.
Beispiel:
Wurde im Jahr 2020 eine Rücklage von 100.000 € gebildet und erst 2023 ohne Reinvestition aufgelöst, beträgt der Zuschlag:
6 % × 3 Jahre × 100.000 € = 18.000 €.
Dieser Betrag erhöht den steuerpflichtigen Gewinn im Jahr der Auflösung.
3. Warum der Gewinnaufschlag oft kritisiert wurde
In den letzten Jahren wurde die Vorschrift häufig diskutiert. Der Grund: Das anhaltende Niedrigzinsniveau ließ den pauschalen Satz von 6 % unrealistisch hoch erscheinen. Steuerpflichtige argumentierten, dass der Zuschlag in dieser Höhe nicht mehr „realitätsgerecht“ sei und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verstoße.
Die Finanzverwaltung hielt dagegen, dass der Zuschlag nicht allein als Zinsersatz gedacht ist, sondern einen Lenkungszweck erfüllt: Er soll sicherstellen, dass die steuerliche Begünstigung tatsächlich nur bei Reinvestitionen genutzt wird.
4. Die aktuelle Rechtsprechung des BFH
Mit Urteil vom 18. September 2023 (10 K 1459/22), bestätigt durch das BFH-Urteil vom 20. März 2025 (VI R 20/23), ist nun klargestellt:
Der 6 %-Gewinnaufschlag ist verfassungsgemäß – auch bei einem dauerhaft niedrigen Zinsniveau.
Der BFH begründet das wie folgt:
§ 6b EStG ist eine Lenkungs- und Subventionsnorm. Der Staat gewährt mit der Rücklage bewusst eine Steuervergünstigung, um Investitionen zu fördern.
Der Gewinnaufschlag dient dazu, Mitnahmeeffekte zu verhindern, wenn keine Reinvestition erfolgt.
Steuerpflichtige haben Gestaltungsspielräume: Sie entscheiden selbst, ob, wann und in welcher Höhe sie eine Rücklage bilden und wieder auflösen.
Die pauschale 6 %-Bemessung ist zulässig, weil sie die Besteuerung vereinfacht und keine individuelle Zinsberechnung erfordert.
Es liegt kein Verstoß gegen das Übermaßverbot oder den Gleichheitsgrundsatz vor.
5. Abgrenzung zur Vollverzinsung nach § 233a AO
Die Kläger hatten sich unter anderem auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vollverzinsung berufen. Dort wurde der gesetzliche Zinssatz von 6 % pro Jahr für Nachzahlungszinsen als verfassungswidrig erklärt.
Der BFH stellt jedoch klar, dass Gewinnaufschlag und Vollverzinsung nicht vergleichbar sind:
Die Verzinsung nach § 233a AO betrifft alle Steuerpflichtigen zwangsweise.
Der Gewinnaufschlag nach § 6b EStG entsteht dagegen nur, wenn der Steuerpflichtige selbst aktiv entscheidet, eine Rücklage zu bilden und später ohne Reinvestition aufzulösen.
Somit handelt es sich nicht um eine gesetzliche Zinsregelung, sondern um einen Folgeeffekt der eigenen Gestaltungsentscheidung.
6. Praktische Konsequenzen für Unternehmen
Für Unternehmen bringt die aktuelle BFH-Rechtsprechung Rechtssicherheit. Der 6 %-Zuschlag bleibt bestehen, eine Anpassung durch den Gesetzgeber ist nicht erforderlich.
Praxisempfehlungen:
Reinvestitionsplanung prüfen: Wer eine Rücklage bildet, sollte frühzeitig klären, ob und wann eine Reinvestition tatsächlich erfolgt.
Fristen im Blick behalten: Spätestens nach vier bzw. sechs Jahren droht sonst die gewinnerhöhende Auflösung inklusive Zuschlag.
Steuerliche Gestaltung nutzen: Eine freiwillige Auflösung kann sinnvoll sein, wenn der Steuersatz in einem Jahr besonders niedrig ist oder Verluste gegengerechnet werden können.
7. Fazit
Der Gewinnaufschlag nach § 6b Abs. 7 EStG bleibt rechtmäßig und wirksam.
Auch bei anhaltend niedrigen Zinsen sieht der BFH keinen Anlass, den pauschalen Satz von 6 % zu ändern. Entscheidend ist, dass der Zuschlag kein Zins im technischen Sinne, sondern Teil der Systematik der Reinvestitionsbegünstigung ist.
Unternehmen sollten § 6b EStG weiterhin als steuerliches Gestaltungsmittel aktiv einsetzen – mit dem Bewusstsein, dass bei einer Auflösung ohne Reinvestition der Gewinnaufschlag zwingend hinzuzurechnen ist.
Disclaimer
Die Inhalte dieses Beitrags dienen ausschließlich der allgemeinen Information und stellen keine individuelle steuerliche oder rechtliche Beratung dar. Trotz sorgfältiger Recherche übernehmen wir keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität der Angaben. Für die Anwendung der dargestellten Regelungen auf konkrete Sachverhalte ist eine eigenständige Prüfung erforderlich. Gesetzliche Vorschriften können sich ändern, und individuelle Umstände müssen gesondert berücksichtigt werden.